Donnerstag, 6. August 2015
Ich will Herbst
Ist der Alltag, das Machen und Tun, die Routine eben, ist dieses die Tünche über dem alten und hässlichen Lack der Mühsal, Anstrengung, gefühlten ewigen Last des Lebens mitsamt der eigenen Einsamkeit, die jeder, der ein einzelner ist (und wir alle sind einzelne, auch dann, wenn wir viele sind), mit sich trägt

oder

ist das plötzliche Aufflackern alldessen, oder besser: das hereinfallende Dunkel in den hellen Tag, nur ein kleiner Kratzer im beinahe perfekten Lack des nicht ganz so perfekten Alltags?

Kann man in beidem zugleich sein, ohne sich dessen bewusst zu werden? Im Alltag, in der Routine und doch auch in der Quälerei eines Lebens, das man so nicht wollte, niemals so wollte. Oder ist es ein Schwanken zwischen beidem, das je nach eigener Befindlichkeit mal hierhin, mal dorthin schwappt und immer, wenn es heftiger schwappt, erschrickt man sich und fragt sich, wo gerade man sich befindet und wie man, verdammt nochmal, dorthin gekommen ist?
Und wenn man sich bewusst wird, dass man von einem Becherrand zum anderen kreiselt, wie kann man das vergessen? Kann man es vergessen, muss man es überhaupt vergessen? Oder geht es nicht allen und jedem so, dass im Hellen das Dunkel kommt und geht und andersherum?

Ich weiss, dass ich diese Phasen habe, die an eine Depression denken lassen. Ob es wirklich eine ist, weiss ich nicht. Ich halte es für jahrelange und anhaltende mühsame Überforderung, aber ich bin das schon so gewohnt, dass ich nicht mehr weiss, was "normal" ist und wo es aufhört "normal" zu sein. Aber sollte gerade die Gewöhnung an die Mühsamkeit nicht härter machen und weniger wehleidig? Und woher kommt dann das immer wiederkehrende Leiden, wenn es denn so wäre?

Manchmal habe ich das alles so satt und dann bin ich auf mich selbst so unendlich wütend, denn ist nicht jeder selbst verantwortlich für sein Leben und sein Tun und damit auch für seine Befindlichkeit? Aber wenn das so ist, wenn man alleine verantwortlich ist, darf man dann alle vergessen, die im selben Boot sitzen und darf man die Verantwortlichkeit auf sich selbst beschränken? Oder ist nur der glücklich, der eben dieses versteht, nämlich sich vor allem auf die Verantwortung sich selbst gegenüber zu beschränken? Wie ist es, die anderen zu vergessen, an die man jahrelang dachte und mit denen gemeinsam man an den Punkt gegangen ist, an dem man nicht ankommen wollte? Ist man denn wirklich froher, diese zu vergessen, oder einfach stehenzulassen, um sich der Verantwortung für das eigene, und nur das eigene Leben, zu stellen? Ich glaube nicht. Aber was ich glaube und nicht glaube, ist nicht immer richtig. Ist sogar selten richtig. Glaube ich. Pffft.

Und das Schlimmste an allem ist die fehlende Perspektive. Der fehlende Horizont. Wohin sollte denn ein anderer Weg gehen? Ich wüsste keinen anderen. Und eigentlich will ich auch keinen anderen. Der, den ich gehe, der sollte leichter sein. Das wäre fein.

Ich hätte gerne Herbst. Mit seinen Düften, mit dem weiten Blick über geerntete Felder. Dem kühlen Lüftchen in mildem Sonnenlicht. Ich hätte gerne vieles, aber Herbst würde schon reichen.