Ich kenne einen Umweg,
sagte meine Tochter als sie noch klein war, und meinte damit eine Abkürzung. Sie hat, wie es mir scheint, diesen Versprecher verinnerlicht, denn all ihre Wege bestehen aus Umwegen und deshalb kommt sie niemals an Ziel. Es ist schwer, das zu sehen und dabei weder weinerlich noch wütend zu werden. "Machen Sie es sich schön, mit Ihrem Mann und den Hunden", sagte die Frau von der Hilfestelle, die vor Jahren bei uns war und die ich beim Einkauf traf, "Ihre Tochter ist erwachsen und hat den stärksten Willen, den ich je erlebt habe".
Mag sein, dass sie einen überaus starken Willen hat. Dennoch geht sie Umwege und keine Abkürzungen. Und ich bin wütend. Und weinerlich. Abwechselnd.
Wie ich darauf jetzt komme, ist der Umstand, dass ich nächtlich ebenfalls herumirre. Auf fremden Bahnhöfen, den richtigen Zug nicht findend. Auf fremden Straßen, autofahrend, und nicht die rechte Kreuzung findend. Auf dem Fahrrad, gigantische Berge erklimmend, und irgendwie niemals ankommend. Abwechselnd. Immer dieselbe Art Traum mit immer derselben Abwechslung.
Ich kenne auch Umwege. Abkürzungen weniger.
Ich, die ich ja auch schon so manchen Umweg ging, fragte mich so manches Mal hinterher - mitunter kopfschüttelnd - ob das nun wirklich sein musste. Ja, musste wohl. Vielleicht stimmt es also, dass der Weg das Ziel ist.
Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem sehr geschätzten Menschen, der meinte, dass man, auch wenn man es nicht glaubt, alles noch einmal genauso tun würde, würde man eine 2. Chance für einen anderen Weg bekommen.
Ich mag das wirklich kaum glauben, habe ich doch viele Ideen, wie ich was anders tun würde, welchen anderen Weg ich gehen würde. Aber wahrscheinlich hat dieser geschätzte Mensch Recht: man ist, was und wie man ist und deshalb fällt man gewisse Entscheidungen immer wieder gleich.
Ein Umweg birgt eine gewisse Distanz zum Ziel. Vielleicht ist dieses das verlockende daran.