Kein Trost,
eher Bedauern über bedauerliches Nichts. Dabei hielt ich mich schon zuvor für vollkommen desillusioniert. Zauber verflogen. Punkt.
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Nebendran spielen sich fast täglich neue Dramen ab. Seit die jugendliche Mutter in einer speziellen Einrichtung ist (das Baby lebt noch - ich halte allerdings alles für möglich), hat sich das Interesse der älteren Mutter an ihren jüngeren Kinder auf Anschreien und ins Bett schicken reduziert. Ich bin unschlüssig, inwieweit ich eingreifen kann und soll, zumal das Jugendamt seit Jahren involviert ist. Jedoch ist der Junge (der einzige unter sonst nur weiblichen Familienmitgliedern) bereits so auffällig, dass mir das Herz blutet, wenn ich das Geschrei von nebenan höre.
Er (knapp 13) soll mit seiner Schwester (ein Jahr jünger) in den Sommerferien in ein Ferienlager und hat bereits jetzt panische Angst davor. Bis vor kurzem musste er noch jeden Morgen zum Schulbus gebracht werden, und nun soll er quer durchs Land verreisen. Vorsichtiges Nachfragen erbrachte nur die genervte Antwort der Mutter, sie müsse sich mal erholen. Mag sein, aber ihr Junge ist bereits jetzt ein Nervenbündel und ich glaube nicht, dass diese Aktion irgendeinen positiven Effekt haben wird. Vor kurzem sagte er mir im Vertrauen, er glaube, seine Mutter würde ihn hassen. Bei dem täglichen Geschrei könnte man das tatsächlich glauben. Jedoch steht dort drüben eine Familienhilfe bereit und diese sollte doch mitkriegen, was da los ist.
[Kurze Anekdote noch: die Familienhilfe bereitet einen Ausflug mit Mutter und den beiden jüngeren Kindern vor. Es soll in den Wildpark gehen und die Kinder freuen sich schon. Kommentar der Mutter: "Ich habe keine Lust. Was soll ich da? Oh menno, mir fällt bestimmt noch eine Ausrede ein". Nebendran stehen die Kinder und gucken gross.]
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Seit Tochter öfter ein- und ausgeht, ist Sohn nicht mehr gesichtet worden. Ich kann mich noch sehr deutlich daran erinnern, wie ich unbedingt zwei Kinder haben wollte, damit eines später mal nicht so mutterseelenalleine dasteht...
Ich kenne die Zahl der Fälle nicht, die jeder Familienhilfe-Mitarbeiter betreut, tippe aber darauf, dass es zu viele sind, um wirklich alles mitzubekommen.
Hat der Junge Ihnen erzählt, was ihm bei dem Gedanken, in ein Ferienlager zu fahren, solche Angst macht?
Ich kenne nicht alle Familienhelfer, habe aber mitbekommen, wie absichtlich zur Seite gesehen wurde, als die Wohnsituation das Wort "Wohnen" nicht mehr beinhaltete.
Der Junge kann die Angst nicht benennen, soll aber wohl schon auf der Strasse Autos angehalten haben, wenn er keine Passanten mehr sah - aus Angst davor, alleine zu sein. Ich denke, dass hier psychiatrisch behandelt werden muss, Nachbarschaftsgespräche alleine werden nichts ausrichten. Ihn ins Ferienlager zu zwingen, halte ich auch für nicht hilfreich. Die Mutter indes besteht darauf.
Gibt es noch andere Einrichtungen in Ihrer Stadt, die Sie in dieser Angelegenheit konkret um Rat fragen könnten, wie am besten vorzugehen ist? Vielleicht gibt es eine Beratungsstelle des Kinderschutzbundes oder Ähnliches.
Denn es klingt so, als braucht der Junge dringend Hilfe. Da er so verängstigt ist, wird er es kaum schaffen, selbst das Kinder- und Jugendtelefon anzurufen oder sich allein an irgendeine der anderen Anlaufstellen zu wenden. Dass er sich Ihnen anvertraut, ist schon beachtlich, wie gut, dass er in Ihnen wenigstens eine Vertrauensperson in seiner nahen Umgebung findet. Aber wie Sie schon sagten, Nachbarschaftsgespräche alleine werden nichts ausrichten.
Wenn Sie sich direkt ans Jugendamt wenden, dann bringt es wahrscheinlich nur etwas, wenn Sie es schriftlich machen. Wahrscheinlich wäre es dafür hilfreich, einige der Dramen auch mit Datum und Uhrzeit belegen zu können. Ich weiß nur nicht, inwieweit das Jugendamt solche Hinweise auch entsprechend vertraulich behandelt, dass nicht ein nachbarschaftlicher Kleinkrieg mit dieser älteren Mutter die Folge ist oder die Kinder darunter zu leiden haben (und der Junge dann nicht mehr zu Ihnen dürfte usw.). Zumal die Familienhilfe schon absichtlich weggeschaut hat. Deshalb würde ich mich an Ihrer Stelle erst bei einer anderen Einrichtung erkundigen, was die beste Vorgehensweise ist, damit den Kindern geholfen wird.
Momentan ist drüben Ruhe und anscheinend das Thema Ferienlager erstmal abgehakt, da es dringendere Dinge zu erledigen gibt. Mir fehlen inzwischen hierzu alle Worte.
Das erinnert mich an vieles, was ich in meinen bisherigen Tätigkeiten mitbekommen habe. Wenn Sie schreiben, dass Ihnen das Herz blutet, wenn Sie das Geschrei von nebenan hören, dann tauchen vor meinem geistigen Auge diverse Situationen auf, in denen es mir ähnlich erging. Und ich habe keine Patentlösung. Auf der einen Seite die Kinder, bei denen schon sehr früh psychische Fehlentwicklungen sichtbar sind und auf der anderen Seite die Eltern, bzw. Mütter, die völlig überfordert sind. Und überfordert sind dann auch die professionellen Helfer, die oftmals viel zu lange warten (müssen) um die Kinder in eine bessere Situation zu bringen.
Ohnmacht, Trauer und Wut sind die Gefühle, die sich bei mir bei diesem Thema einstellen. Ich wollte, es gäbe wirkliche Alternativen. Aber letztendlich wird es immer so sein, dass sich Menschen zur Elternschaft berufen fühlen, die dann später bei den eigenen Kindern genauso viel kaputt machen, wie schon bei ihnen von den eigenen Eltern kaputt gemacht wurde.
Aber letztendlich wird es immer so sein, dass sich Menschen zur Elternschaft berufen fühlen
Wenn sie sich berufen fühlen. Wenn. Nebenan wird gerade darüber verhandelt, wohin mit dem zweiten Säugling der jugendlichen Mutter - der erste ist letztes Jahr in eine Pflegefamilie gekommen. Die junge Mutter will das Kind nicht und alles andere ist ihr reichlich egal, solange sie sich bloss nicht darum kümmern muss. Ist vermutlich fürs Baby besser, woanders versorgt zu werden, aber später einmal umso schrecklicher für das Kind.
es mag eine zeit für die kinder geben, in denen ihnen klar wird, daß sie bei pflegeeltern groß wurden.
das wird sie schmerzen.
sie sind dabei aber (hoffentlich) nicht alleine und werden unterstützt.
denk an mein leben, an das, was ich noch heute auszubaden habe und das was in mein babyhirn gepflanzt wurde, was der hunger noch heute für folgen hat, die prügel, die ignoranz, die angst, etc.
der schmerz der daraus resultiert, schließt erst mit mir seine augen.
Als ich heute die Programmvorschau vom DRadio las, musste ich sofort an die Diskussion hier denken. Am 6. Juli läuft im DRadio um 18.05 Uhr das Feature
Kinder im Kreidekreis. Zwischen leiblichen und Pflegeeltern.
Hier wird es so einen Kreidekreis gar nicht geben, weil wenn Kind weg, Kind eben weg.
P.S. Den Bus ins Ferienlager hat man "verschlafen". Angeblich. Mir scheint das eher wie volle Absicht. Aus welchen Gründen konnte ich noch nicht herausfinden.