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Der Bruder und die Mutter zerfleischen sich gegenseitig bis ins Elend. Ich beobachte aus der Ferne und kann nichts tun. Wüsste auch gar nicht, was zu tun sei.
Dass sie ist, wie sie ist und er ist, wie er ist. Sie, als Mädel damals zwischen zwei Buben nicht viel wert gewesen, später dann verheiratet mit Kindern, damals in den Fünfzigern, auch nur so viel wert, wie ihr der Rindsbraten gelungen war. Kein Beruf, nur Berufung: Ehemann, Kinder, Haushalt. Keine eigene Meinung, keine Wünsche, alles Wohl dem Manne, der das Geld heimbringt. Wenn man selbst nichts zu sagen hat, hat man auch keine Verantwortung für das eigene Sein. Passivität. Absolut. Und auch heute noch ist jeder andere auf der Welt mehr für ihre Befindlichkeit verantwortlich als sie selbst. Dass darunter ihre Befindlichkeit leidet, ist klar. Und wie sie ihre Umwelt sieht, aus welchen Augen, wohl auch.
Und er. Der nach dem Tod des Ehemannes sich um sie kümmerte. Immer und immer ihre Eigenarten erlebend, mitmachend. Nie war es recht, nie war es genug. Für ihn hat sie sich doch krummgemacht alle die Jahre. Für ihn und die anderen drei Kinder. Rücksichtnahme und Dankbarkeit sollten doch da endlich mal kommen! Rücksichtnahme darauf, dass sie selbst für nichts verantwortlich ist, weil ihr Sein doch keinen Wert hatte und hat. Dabei sollte er doch ihrem Sein endlich Wert geben und alles das sein und tun, was ein Mann doch so tut. Doch wie kann er Mann sein, wenn er ihr doch Kind ist? Und wie kann man sich aus alledem befreien ohne den anderen tödlich zu verwunden?
Und was soll ich tun, aus der Ferne? Es ist deren Leben, nicht meines. Und doch. Es tut weh, das so zu sehen. Wie schön könnten diese beiden es haben. Jeder für sich. Im Miteinander liegt dort kein Glück. Nicht einmal vergraben.
Weg und tot
Das tote Mädchen aus Bodenfelde, welches da zur Zeit in der Presse Schlagzeilen macht, war von daheim ausgerissen, bevor es ermordet wurde. Gesehen wurde sie anscheinend hier und da nochmal, schließlich fand man ihre Leiche im Wald.
In einem Leserbrief in der Zeitung schreibt jemand dazu, was ich ebenfalls seit einigen Tagen denke: wieso hat die Polizei das Mädchen nicht aufgegriffen, bevor der Irre es töten konnte?
Meine Tochter war ebenfalls ausgerissen, vor ein paar Jahren. Natürlich waren wir auch bei der Polizei. Die jedoch winkte nur ab und sagte, es sei noch zu früh für eine echte Suche. In ein paar Tagen vielleicht. Auch meine Tochter wurde hier und da immer mal wieder gesehen, vor allem in der Innenstadt bei Einbruch der Dämmerung (es war Winter seinerzeit). Wir riefen immer wieder bei der Polizei an und teilten den aktuellen Sichtungsort unserer Tochter mit. Aufgegriffen wurde sie von der Polizei jedoch nicht. Fragten wir dann nach, was die Dienststelle zu tun gedenke - unsere Tochter war fünfzehn Jahre alt - sagte man uns lapidar, man werde halt einfach die Augen offen halten. Und das in einem Tonfall, der uns sagen sollte, dass wir mit unseren Anrufen nervten und überhaupt diese Angelegenheit doch wohl eher eine Lappalie war und man wichtigeres zu tun hatte.
Nach einigen Tagen gingen wir selbst abends in die Innenstadt. Gemeinsam mit einem Nachbarn liefen wir die Straßen auf und ab und tatsächlich, sie war dort inmitten einer Gruppe anderer Jugendlichen. Während einer von uns die Verfolgung aufnahm und uns per Handy immer wieder den aktuellen Standort durchgab, informierte der Rest unserer Truppe die Polizei. Im Stadtpark schließlich, so waren wir uns sicher, würde diese Jagd ein Ende finden und wir unsere Tochter endlich von der Straße holen können. Doch, haha!, weit gefehlt. Die Polizei kam nämlich nicht. Beziehungsweise erst dann, als die große Gruppe Jugendlicher sich bereits wieder verstreut hatte und mit ihnen, irgendwo verschwunden, unsere Tochter. Eine Stellungnahme der Polizei bekamen wir dazu nicht. Kein Wort. Schweigen.
Letztendlich haben wir sie doch "eingefangen". Von einer Party aus hatte sie einen Freund angerufen. Dieser hatte sich die Nummer aus dem Display gemerkt und aus Sorge um sie uns informiert, von wo aus unser Kind angerufen hatte. Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, nachdem wir überflüssigerweise die Polizei informiert hatten. Am Haus angekommen, in dem die Party stattfand, hielt uns die Polizei zurück. Man wollte sich selbst darum kümmern. Das sah so aus, dass zwei Beamte vorne an der Türe klingelten und fragten, ob eine Soso und da sei. Wir waren darüber so erstaunt, dass wir uns erneut teilten und die Hälfte von uns auf der Rückseite des Hauses Stellung bezog. Und richtig, während sich vorne die Polizei abwimmeln ließ, stieg hinten unsere Tochter aus dem Fenster.
In echter Polizeimanier wurden wir dann allerdings davon abgehalten, ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Stattdessen schirmte man sie vor uns ab und verschwand mit ihr im Polizeiwagen.
Wenn ich nicht vollkommen falsch liege, wird die Polizei nach dem toten Mädchen ähnlich intensiv und durchdacht gesucht haben. Das Ergebnis davon kann man in allen Nachrichten erfahren.
26. November 10
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Quasi
- um die Ecke findet man
tote Kinder.
Meins war auch mal weg. Mehrere Tage. Meine Güte, war ich sauer auf das Balg. Wie wäre das gewesen, hätte man mein Kind so gefunden, und ich hatte die ganze Zeit nix als Wut um Bauch, bis dahin.
Die Eltern. Himmelnochmal. Wie unvorstellbar das alles.
22. November 10
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